Spiegel-Affäre

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Spiegel-Affäre Hamburg: Polizei überwacht Schwule auf Klappen durch Einweg-Spiegel – In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1980 zerschlagen Schwule in Hamburg auf der Klappe am Spielbudenplatz einen Überwachungsspiegel, die Polizei muss die Existenz und Führung von ‘Rosa Listen’ einräumen.

‘Rosa Listen’ waren ein zentrales Element der Erfassung und Verfolgung von Homosexuellen. Polizei und Verfassungsschutz sammelten Daten über Homosexuelle, legten systematische, fortlaufend ergänzte und ausgewertete Karteien Homosexueller an – sie führten so genannte ‘Rosa Listen’. Basis dieser ‘Rosa Listen’ war neben Razzien in Bars u.a. die Überwachung von Treffpunkten Homosexueller, u.a. Parks und Klappen. Ihren ‘Höhepunkt’ erreichten die ‘Rosa Listen’ vermutlich in der NS-Zeit mit der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität’ -über 33.000 Personen seien in ihren Karteien erfasst, teilt das ‘Jahrbuch’ 1939/40 mit; für die Zeit ab 1940 sprechen Historiker von 41.000 bis 95.000 erfassten Männern. Die ‘Rosa Listen’ wurden zur Basis einer umfangreichen Verfolgung und Bekämpfung Homosexueller.

Bei der “ersten Schwulen- und Lesbendemonstration” (heute: CSD) am 28. Juni 1980 in Hamburg entdecken Teilnehmer/innen, dass sie von Polizisten in Zivil (u.a. aus einem ‘VW Bulli’ heraus) photographiert werden – zur “Auffrischung der Karteien”, wie ein Polizist gegenüber der Presse freimütig mitteilt. Teilnehmer der Demonstration fordern die Herausgabe der Aufnahmen. Die Situation eskaliert, als eine Einsatztruppe uniformierter und bewaffneter Bereitschaftspolizei anrückt. Als Teilnehmer/innen der Demonstration die Polizeifahrzeuge (und mit ihnen die Photos) am Abrücken hindern wollen, setzt die Polizei Gummiknüppel und ‘Chemical Mace’ (‘Chemische Keule’, CS-Gas) ein.

Am 30. Juni 1980 richtet die Hamburger Bundestagsabgeordnete Helga Schuchardt (damals Mitglied des Bundesvorstands der FDP und Hamburger Landesvorsitzende, 1982 ausgetreten; 1992 ohne ihr Zutun als lesbisch geoutet) eine Anfrage an den Hamburger Innensenator Werner Staak (SPD) über ‘Rosa Listen’ und fordert die Vernichtung derjenigen Fotos, die ‘nicht zur Feststellung der Personalien von Randalierern’ dienen. Erste Medien greifen den Vorfall auf und berichten auch über Rosa Listen. Bereits auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen der ‘Schwulen und Lesbischen Aktionswoche’ mit Parteien-Vertretern hatten mehrere Schwule von Indizien für die Existenz von ‘Rosa Listen’ gesprochen.

Ein lange gehegter Verdacht: Klappen, öffentliche Toiletten, die als beliebte Treffpunkte Homosexueller dienen, werden polizeilich überwacht. Oft kam es auf Klappen zu Polizei-Aktionen, erfolgten Festnahmen, Verhöre (wie auf der der Klappe am Spielbudenplatz nahe gelegenen ‘Davidwache’). Benutzungs-Verbote werden ausgesprochen, Gerichte erlassen Strafbefehle.

In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1980 (Spielbudenplatz) sowie am 2. Juli 1980 (u.a. Großneumarkt, Jungfernstieg, Rathausmarkt) zerschlagen Hamburger Schwule, unter ihnen Corny Littmann (damals Spitzenkandidat der Hamburger ‘Grünen’), auf insgesamt acht öffentlichen Toiletten in der Stadt 2 cm dicke Einweg-Spiegel, durch die Toiletten-Benutzer jahrelang von der Hamburger Polizei beobachtet worden waren. Hinter dem Spiegel: eine kleine Kabine, in der ein Polizist saß. Einen der Hammer (bei der Aktion auf der Klappe St. Pauli / Spielbudenplatz) soll, so Littmann, der 1985 verstorbene Schauspieler und Betreiber der ‘Kellerbühne’ Harry Pauli (‘Pauline Courage’) bereitgestellt haben.

Nach einer Protest-Versammlung Hamburger Schwuler im ‘Tuc Tuc’ (Oelkersallee 5) findet am Freitag, 11. Juli 1980 eine Demonstration (mit Auftritt des Hamburger Tuntenchors) unter dem Motto “Wir fordern: Schluß mit der Bespitzelung! Weg mit den Rosas Listen!” auf dem Hansaplatz statt.

Angelegt wurden die ersten Überwachungs-Kabinen und Einweg-Spiegel Medienberichten zufolge 1964 zur Zeit von Innensenator Helmut Schmidt; der letzte erst 1973 (Rathausmarkt). Der “eigentliche Schwerpunkt der Überwachung” durch die Einwegspiegel habe auf den Jahren 1973 bis 1975 gelegen [i.e. nach der 'Großen Strafrechtsreform' 1969!], so Polizeisprecher Peter Kelling. Er räumt schon kurz nach der Aktion die jahrelange Überwachung Homosexueller auf (mindestens) acht Hamburger Klappen ein. Allein im Bezirk Hamburg-Mitte seien in zehn der insgesamt 66 öffentlichen Toiletten solche Spiegel installiert gewesen, erklärt er auf Anfrage.

Innensenator Staak lässt die Schwulen-Überwachung auf Klappen sofort stoppen. Er sei ‘betroffen’ gewesen, wird gemeldet – “seiner kümmerlichen Presseerklärung merkt man diese Betroffenheit jedenfalls nicht an“, kommentiert Wolfgang Bombosch in NDR.

Medien greifen die Überwachung breit auf, sprechen bald von der “speziellen ‘Spiegel-Affäre‘”. Später muss die Polizei eingestehen, aufgrund der Klappen-Überwachung gegen mindestens 1.200 Personen (!) Hausverweise (de facto: Toiletten-Verbot) ausgesprochen zu haben, bei Wiederholung mit Anzeigen wegen ‘Hausfriedensbruch’ oder ‘Erregung öffentlichen Ärgernisses’.

Über sämtliche Ermittlungen wurden Akten angelegt, Daten einschließlich etwaiger Hausverbote spätestens nach Anzeige im (damaligen damals hamburgischen) Polizei-Auskunftssystem ‘Polas’ gespeichert. “Die Summe dieser Akten könnte als Liste bezeichnet werden“, so damals Henning Voscherau (SPD, Vorsitzender des Innenausschusses der Hamburger Bürgerschaft).

Im Verlauf der Medien-Berichterstattung wird deutlich, dass die Bespitzelung und Verfolgung breiteren Umfang hatte als ‘nur’ auf Klappen. So wurden auch öffentliche Grünanlagen überwacht, die Kennzeichen von PKWs erfasst, die nachts in der Nähe von als Schwulentreffpunkten bekannten Parks parkten, und ‘Hausverbote’ für Grünanlagen erteilt.

Die Einweg-Spiegel in neun Klappen werden als ‘Kurzfrist-Aktion’ übermalt, kurz darauf beseitigt. Die Klappe am Spielbudenplatz auf St. Pauli wird kurz nach der “Spiegel-Aktion” geschlossen. Seit der am 2. Juni 2006 eingeweihten Neugestaltung des Spielbudenplatzes ist ihre frühere Lage kaum noch zu erkennen.